„Es kommt auf die Anerkennung an“ – Interview mit dem neuen Geschäftsführer des Diakoniezentrums Ronsdorf

Drei Herren stehen vor einem Gebäude.
Volker Heuwold (links) war 25 Jahre Geschäftsführer des Diakoniezentrums Ronsdorf. Sein Nachfolger ist Arnd Picard (Mitte), Jörg Scherdin bleibt Aufsichtsratsvorsitzender. Foto: Moritz Körschgen

Das Diakoniezentrum Schenkstraße hat einen neuen Geschäftsführer. Arnd Picard (49) leitet die Geschicke der Einrichtung seit Anfang April. Nach fast 28,5 Jahren im Evangelischen Altenzentrum Ohligs (Solingen) ist er jetzt nach Ronsdorf gekommen.
Sein Vorgänger, Volker Heuwold (64), geht nach 25 Jahren als Geschäftsführer in den Ruhestand. Über gesellschaftlichen Wandel, fehlende Anerkennung für Pflegekräfte und mehr haben wir mit Volker Heuwold, Arnd Picard und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Jörg Scherdin gesprochen.

Ronsdorfer Wochenschau (RW): Herr Heuwold, gibt es ein Schlüsselerlebnis, an das Sie sich heute noch erinnern?

V. Heuwold: „Dass die Bewohner früher sehr fit waren. Das hat uns eigentlich ausgezeichnet – heute sind mehr pflegebedürftige Menschen da.“

RW: Wie kommt das?

V. Heuwold: „Heute gibt es viel mehr Möglichkeiten wie die ambulante Pflege und die Tagespflege. Die Leute werden älter und sind fitter. Und man wird eigentlich viel später so hilfebedürftig, dass man dann erst im hohen Alter ins Altenheim geht.“

RW: Sie haben die Corona-Zeit im Haus erlebt, merken Sie davon noch Auswirkungen?

V. Heuwold: „Bei den Bewohnern nicht. Aber bei den Mitarbeitern. Man merkt, dass sie immer noch belastet sind von der Zeit.“

RW: Haben Sie den Eindruck, dass die Mitarbeiter sich nach Corona von der Gesellschaft allein gelassen fühlen?

V. Heuwold: „Am Anfang hat man ja geklatscht – und davon ist bei der Gesellschaft nichts hängen geblieben. Die Leute sind wesentlich kritischer, haben extrem hohe Anforderungen aber sind auch nicht bereit dafür zu bezahlen.“
A. Picard: „Das Klatschen war ja wohl ein großer Witz. Da kann ich nur den Kopf schütteln. Oder dass Pflegefachkräfte am 12. Mai zum Tag der Pflege eine Rose geschenkt bekommen. Das ist doch nicht die entsprechende Anerkennung dafür, dass sie 365 Tage im Jahr früh, spät, Feiertag, am Wochenende – letztendlich für Menschen – da sind.“

RW: Wie kann der Pflegeberuf attraktiver gemacht werden?

A. Picard: „Mal hinzusehen und nachzufragen: Was will denn die Pflegekraft und die Pflegefachkraft eigentlich? Beide sind unheimlich wichtig. Aber es ist auch für die Pflegefachkraft wichtig, nicht nur im Büro zu sitzen und Medikamente zu stellen, sondern auch mit den Menschen Beziehungen zu erleben und zu gestalten und aufzubauen. Da müssen Anreize geschaffen werden, und zwar von höherer Stelle. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Ausgleich für die Leistung.“
V. Heuwold: „Die Pflegefachkräfte machen in Deutschland zur Hälfte Pflegehilfskraft-Arbeiten. Das gibt es in anderen Ländern nicht. Dort ist eine Fachkraft immer Fachkraft.“

RW: Was ist der Unterschied zwischen Pflegehilfskraft und -fachkraft?

V. Heuwold: „Als Hilfskraft unterstütze ich die Fachkraft. Als Fachkraft bin ich anders ausgebildet. Neben der Grundpflege kann ich mir Wunden anschauen, muss Medikamente stellen und so weiter. Ich habe eine höhere Ausbildung, mehr Fachwissen, drei Jahre Schule besucht und eigentlich muss ich dementsprechend auch Arbeiten machen.“
A. Picard: „Beides hat seine Wertigkeit, das muss man auch deutlich machen. Andere Länder sind da aber viel weiter.
Zum Beispiel das Primary Nursing System in England. Die haben eine Spezialausbildung in einer niederschwelligen, ärztlichen Tätigkeit, dass sie sagen können, der Patient braucht jetzt das und das Medikament – also eine medizinische Betreuung auf kurzem Weg mitzugestalten.
Ich glaube, wenn solche Ansatzpunkte vertieft werden, dann wäre der Anreiz auch größer, den Beruf auszuüben. Nur da muss man das System der Pflegeausbildung ändern. Ich kratze hier nicht an der Kompetenz von Hausärzten, aber die Stärkung der Pflegefachkräfte, die Anerkennung, darauf kommt es an.“

RW: Wie sehen Sie die Zukunft der Altersbetreuung in Deutschland?

V. Heuwold: „Ich sehe es als sehr schwierig an. Es gibt keine Kinder in vielen Bereichen. Da werden sich die alten Leute wahrscheinlich untereinander selbst helfen müssen.
Oder – und das scheint die Gesellschaft nicht zu wollen – wir müssen uns mit Migration beschäftigen. Ich kenne es die ganzen Jahre nicht, dass wir ohne Mitarbeiter mit Migrationshintergrund Pflege in Krankenhäusern und Altenheimen gesichert haben. Wir hatten immer um die 40 Prozent Migrationsmitarbeiter. In der Vergangenheit waren dies vor allem polnische und philippinische Mitarbeiter, die jetzt in Rente gehen. Es kommen jetzt muslimische Mitarbeiter und Mitarbeiter aus Afrika und da ist die Frage, ob das die Bewohner so akzeptieren.“

RW: Haben sie das Gefühl, dass das nicht der Fall ist?

V. Heuwold: „Das ist schwierig. Gerade die Generation, die jetzt gepflegt wird, kennt das nicht und hat Ängste. Das heißt, wir müssen schon sehr stark daran arbeiten, dass die Ängste abgebaut werden. Wie gehe ich damit um?“

RW: Ist es alternativlos, dass wir uns in der Pflege mit dem Thema Migration beschäftigen?

V. Heuwold: „Ja. Wir müssen in der Gesamtgesellschaft dran arbeiten, dass wir Leute mit Migrationshintergrund in unserer Gesellschaft integrieren.“
J. Scherdin: „Definitiv. Auch die Gesellschafter sagen ganz klar: Wir wünschen das, solange unser Leitbild mitgetragen wird. Das Thema Kopftuch wird ja immer wieder zum Thema gemacht, aber man darf nicht vergessen, dass auch bei unseren Ordensschwestern das Kopftuch oder der Schleier ein Bestandteil der Nonnentracht ist.“
A. Picard: „Wenn sie sich überlegen, dass früher eine Tätowierung auch ein Stigma war: Ich hatte einen Zivildienstleistenden, der war „schwerst“ tätowiert. Und er hatte dann selbst auch einen Kollegen angeworben, der das Ganze noch mal getoppt hat. Die Bewohner haben die beiden geliebt und hatten keinerlei Berührungsängste.
Auch da habe ich sehr viel Offenheit kennengelernt. Wenn Sie jetzt den Begriff Ökumene etwas weiter fassen, die muslimische Glaubensrichtung hat auch einen Gott. Es ist ein bisschen theologisch – aber warum nicht? Das ist doch das Miteinander, was wir uns eigentlich alle wünschen auf der Welt – gegenseitige Toleranz. Und warum sollen wir das nicht aktiv leben?
V. Heuwold: Unsere Mitarbeiter sind nicht alle nur Christen. Wir haben Mitarbeiter, die christlichen und muslimischen Glaubens sind, aber auch konfessionslose Mitarbeiter.

RW: Wie unterscheidet sich das Diakoniezentrum als gGmbH von anderen Häusern?

J. Scherdin: „Vom finanziellen Aspekt, von diesem Druck, Gewinne zu erwirtschaften. Diesen Druck haben wir so nicht wie die Profitcenter. Früher waren Krankenhäuser vor allem öffentlich-rechtlich, bevor sie verkauft und privatisiert wurden. Dort geht es ausschließlich um Gewinne.
Für uns ist eine schwarze Null erstmal das entscheidende und dass sich unsere Mitarbeiter und unsere Bewohner hier im Hause wohlfühlen. Gewinne die gemacht werden, kommen nicht den Gesellschaftern zugute, sondern werden wieder hier in unser Diakoniezentrum reinvestiert.
Aber ich glaube auch, die Menschen, die hier arbeiten, in der diakonisch und evangelisch geprägten Einrichtung: Die Menschen machen das sicherlich noch mit wesentlich mehr Herz und mehr Aufmerksamkeit als in anderen Einrichtungen, die profitorientiert arbeiten.“

RW: Was zeichnet das Diakoniezentrum und Ronsdorf als Standort aus?

V. Heuwold: „Ich finde, es gibt ein gutes dörfliches Miteinander. Die Vereine sind untereinander und auch für uns da, das ist angenehm. Die Kirchengemeinden kommen hier noch persönlich hin, das gibt es auch nicht überall. Der Kontakt zu den Kindergärten, den es sonst in vielen Einrichtungen nicht gibt.“
A. Picard: „Was ich hier sehr besonders und auch sehr schön finde, ist diese Lokalität, dieses Quartier was auch Ronsdorf ausmacht, und, dass wir hier in der Schenkstraße ein diakonisches Zentrum haben, das viele Dienstleistungen abdeckt und nicht nur eine reine Pflegeeinrichtung ist.“
J. Scherdin: „Ronsdorf ist geprägt von seinen Kirchengemeinden, wovon wir hier eine große Anzahl haben, die auch alle gut miteinander zusammenarbeiten und von Ronsdorfs Vereinen. Da ist Ronsdorf einfach sehr aktiv und hier hält man zusammen.“

RW: Wie wirkt sich das auf den Alltag in der Einrichtung aus?

V. Heuwold: „Wir gehören zu den wenigen Einrichtungen, wo ein Sonntagsgottesdienst stattfindet. Und wir haben das Glück, dass wir mit dem Feiersaal einen zusätzlichen Raum haben. Das leisten wir uns zusätzlich. Dieser Raum wird ja nicht refinanziert, den müssen wir schon aus anderen Bereichen erwirtschaften.
Ich würde sagen, ein reines Altenheim hat es sehr schwer, aber wir haben ja dadurch, dass wir noch ein betreutes Wohnen und die Seniorenwohnungen haben, ein breiteres Spektrum und dadurch können wir uns auch schon mal Sachen leisten, die man sich sonst nicht leisten kann.“

RW: Wie sind Sie zur Altenpflege gekommen, Herr Picard?

A. Picard: „Ursprünglich habe ich studiert und wollte eigentlich Lehrer werden. Nebenbei habe ich angefangen, im Altenheim als Wochenendaushilfe zu pflegen. Und irgendwann kam der Punkt, wo ich gesagt habe: Das ist meins. Es hat mir Spaß gemacht, mit den alten Menschen zu lachen, zu empfinden, sie zu pflegen, ihnen zu helfen.
Ich bin bewusst in ein evangelisches Heim gegangen. Gewinnorientierte Investoren, die Einrichtungen aufkaufen, um einen Profit rauszuschlagen – das wäre nichts für mich gewesen. Deswegen war ich auch immer in einem Evangelischen Altenzentrum tätig und deswegen kam für mich nur eine evangelische Einrichtung infrage – auch, weil ich evangelisch bin. Ich glaube, dass der Geist einfach ein anderer ist und, dass ein christlich geführtes Haus andere Prioritäten setzt.“

RW: Was sind Ihre Pläne für die ersten Monate in der Einrichtung, Herr Picard?

A. Picard: „Für mich ist wichtig, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennenzulernen. Die anderen Herausforderungen, die kommen ganz automatisch. Sei es Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Energie. Ich glaube, dass es auch in einer modernen Unternehmensführung unheimlich wichtig ist, dass man präsent ist. Das ist mein erstes Ziel. Ich bin nicht gekommen, um hier alles auf den Kopf zu stellen.“

von Moritz Körschgen

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