Es bleibt keine Zeit mehr – darüber waren sich alle einig. Finanzielle Reserven sind oftmals aufgebraucht, Privatvermögen wird zum Bezahlen der Löhne verwendet. Das Ende des eigenen Betriebs vor Augen, machten sich Unternehmer der Pflegebranche Luft beim Runden Tisch in Wuppertal.
Michael Wessel, Inhaber Pflege Wessel, hatte eingeladen – und diesmal kamen sie. Warfen Konkurrenzdenken und Stolz über Bord, zeigten stattdessen Einigkeit. Denn die privat geführten ambulanten Pflegedienste eint seit mehr als einem Jahr der Kampf ums geschäftliche Überleben – und das nach teilweise 30 oder 40 Jahren Selbstständigkeit. Der Tenor: Es geht nur gemeinsam. Und nur mit erheblichem Druck auf die Politik.
23 Unternehmer aus Hessen, Aachen, Münster sowie dem Wuppertaler und Mettmanner Gebiet sitzen an runden Tischen, dazu ein Vertreter des bpa, des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste.
Der bpa ist einer der großen Verbände, zählt bundesweit rund 13.000 Mitglieder, etwa 2.300 allein in NRW. „Wo waren Sie, als wir im Sommer 2022 davor gewarnt haben, dass die Tarifpflicht Unternehmen in die Insolvenz treiben würde?“, fragt Michael Wessel den bpa-Vertreter David Schulz.
Gestiegene Kosten – Bevölkerung müsse wachgerüttelt werden
In die Insolvenz deshalb, weil der Deckel der Pflegegrade seitdem nicht angehoben wurde, Einzelleistungen aber nun teurer sind. Das geht auf Kosten der Pflegebedürftigen, denn es können nun entweder weniger Leistungen erbracht werden, oder die Pflegedienste zahlen drauf. „Und das geschieht überall“, sagt Knut Damerow, Lebensplus GmbH in Aachen. „Wir machen unsere Arbeit mit Herzblut für die Pflegeempfänger, wir können sie doch nicht allein lassen!“
Gemeinsam mit der Cura Ambulante Pflegedienste GmbH in Aachen hatten die Unternehmen am 21. Februar bereits einen Protesttag auf die Straße gebracht, der Runde Tisch in Wuppertal ist ein willkommenes Vernetzungstreffen. „Wir müssen mehr werden und schnellstmöglich zum Landtag Düsseldorf und nach Berlin“, so der Tenor der Anwesenden.
Auch die Bevölkerung müsse wachgerüttelt werden. Doch weder Pflegebedürftige noch pflegende Angehörige seien auf die Straße zu bewegen. „Wenn sie nicht zu uns kommen können, gehen wir zu ihnen“, sagt Norbert Vongehr, Cura Aachen. Mit ihrer Aktion, kurze Videos zu drehen, haben sie mitten ins Herz getroffen. „Wir haben Pflegebedürftige gefragt, was sie tun werden, wenn demnächst kein ambulanter Dienst mehr zu ihnen kommt. Die Antworten haben uns zum Weinen gebracht“, so Vongehr.
Denn in den meisten Fällen haben diese Menschen keine Kinder oder Freunde, die ihre Pflege übernehmen können. Also wünschen sie sich einen schnellen Tod. „Wir haben jetzt schon Pflegeempfänger, die auf das Waschen verzichten und stattdessen das Geld fürs Essen brauchen.“
Alle Anwesenden erzählen das Gleiche: Dringend notwendige Leistungen der Körperpflege werden nicht in Anspruch genommen, weil die Betroffenen das Pflegegeld für Nahrungsmittel benötigen. Ein erschreckendes Signal. „Die Politik verfolgt offenbar nur ein Ziel: ambulante Pflegedienste abzuschaffen“, so Damerow.
Frust bei den Pflegediensten und Forderungskatalog an die Politik
„Wir stehen politisch vor dem Problem, dass in den restlichen anderthalb Jahren dieser Legislaturperiode niemand mehr das Thema aufgreift. Da wird sich im beginnenden Wahlkampf nur um sich selbst und den eigenen Postenerhalt gekümmert“, sagt Michael Wessel. „Und unternehmerisch vor dem Problem, dass die meisten von uns keine anderthalb Jahre mehr haben.“
Harte Worte, Pflege Wessel zählt mehr als 250 Mitarbeiter. Krankenkassen zahlen zum Teil erst nach Monaten, statt wie vertraglich vereinbart nach 14 Tagen – für alle Unternehmen eine nicht mehr zu stemmende finanzielle Belastung. „Wir mussten zwölf Monate auf eine Zahlung vom LVR in Höhe von 1,2 Millionen Euro warten“, ergänzt Wessel.
Frust hängt bleischwer im Raum, viele haben die Konsequenzen längst zu Ende gedacht. Daraus erwächst im Moment noch Tatendrang statt Resignation. Neben dem wichtigsten Punkt der Vernetzung mit zahlreichen weiteren Pflegediensten, hat die Runde einen Forderungskatalog erstellt, der an Landes- und Bundesregierung geschickt wird. Denn „Geld ist genug da, es muss nur anders verteilt werden“, so Wessel.
Statt Steuergeld ins Ausland zu schicken, müsse ein fester Zuschuss in die Pflegekasse gezahlt werden, um die Arbeit ambulanter Dienste auskömmlich zu refinanzieren. Zudem müsse gelten: gleiche Arbeit, gleicher Verdienst.
„Wenn ich Tarife zahle, brauche ich auch den Punktwert der Caritas“, sagt Thomas Mosel, Comfort Pflege Ostviertel in Münster. Sprich, die Leistungen müssen gleichermaßen vergütet werden. Und: Wer nicht selbst ausbildet, soll sich an den Kosten beteiligen.
Denn ambulante Dienste zahlen bei Auszubildenden immense Summen drauf, dagegen bilden weder das Land noch die Personaldienstleister aus – die dann aber im Anschluss profitieren.
„Zeitarbeit ist Ausbeutung. Den Pflegekräften gönn‘ ich alles Geld der Welt, aber ich kann dafür nicht an das Altersgeld meiner Patienten gehen“, sagt Damerow. Viele weitere Forderungen stehen auf der Liste, doch dass dies zunächst nichts ändert, ist allen bewusst. „Es geht nur auf der Straße – und allen muss das klar sein.“